Mitarbeiterbefragungen – Die Tücken stecken im Detail
In der Wochenzeitung VDI Nachrichten mit Fachinformationen rund um Technik, Wirtschaft und Gesellschaft veröffentlichte Interviewer und Autor Dr. Michael Gestmann Anfang September einen Artikel, der die typischen Fehler und Tücken von Mitarbeiterbefragungen behandlet und wie sich diese nach Expertenaussagen verhindern lassen.
Mitarbeiterbefragungen – Die Tücken stecken im Detail
Typische Fehler bei Mitarbeiterbefragungen – und wie sich diese verhindern lassen.
„Befragungen der Mitarbeiter eröffnen Unternehmen enorme personalstrategische Chancen – sofern sie professionell, systematisch und regelmäßig durchgeführt werden“, sagt Jürgen Kaschube. Der Wirtschaftspsychologe, der an der LM-Universität München lehrt, weiß allerdings auch, dass es beim Dialog mit der Belegschaft Tücken gibt, die längst nicht alle Unternehmen beachten oder kennen.
Bereits in der Vorbereitung auf eine Mitarbeiterbefragung gefährden viele Unternehmen den Erfolg ihres Vorhabens. „Beispielsweise sollte es nicht versäumt werden, die Arbeitnehmervertreter von Beginn an in den Prozess einzubeziehen“, betont Egon Stephan. Nach Erfahrung des Kölner Psychologieprofessors beteiligen sich Betriebsräte gern und konstruktiv an Mitarbeiterbefragungen. Schließlich sind auch sie an Fakten interessiert, welche die Interessen der Belegschaft besser sichtbar machen als eine nur vermutete Stimmungslage.
Ein weiterer Fehler ist es, Mitarbeiterbefragung nicht früh und intensiv genug zu bewerben. „Die Gefahr ist dann hoch, dass die Teilnehmerquote weit hinter den Erwartungen zurückbleibt“, macht Thomas Perlitz klar. Der Director Global Human Resources der Gerresheimer AG plante daher die Befragung der rund 11.000 Beschäftigten an 47 Standorten des Herstellers von Verpackungslösungen aus Glas und Kunststoff bis ins kleinste Detail. Denn Perlitz ist sich bewusst: „Mitarbeiter befürchten mitunter, dass es um eine reine Alibibefragung geht, die keinerlei Konsequenzen hat.“ Dank einer umfassenden Kommunikation lassen sich derartige Bedenken, auch die hinsichtlich Anonymität und Datenschutz, ausräumen.
Kein Standardfragebogen
Zu den wichtigsten Faktoren, die den Erfolg oder Misserfolg von Mitarbeiterbefragungen beeinflussen, gehört für den Wirtschaftspsychologen Kaschube der eigentliche Fragebogen. Er empfiehlt Unternehmen, keinesfalls den Fehler zu begehen und aus Kostengründen auf einen Standardfragebogen zurückzugreifen. „Aussagekräftige Ergebnisse kommen nur zustande, wenn der Fragebogen auf die Ziele der Erhebung zugeschnitten wird“, betont der Experte. Wer diesen Aufwand scheut, vergibt seines Erachtens die Chance, die entscheidenden strategischen Informationen, die mithilfe der Befragung erschlossen werden sollen, zu bekommen.
Besser sei es, dass die internen Projektverantwortlichen mit externen Fachleuten gemeinsam einen individuellen Fragebogen entwickeln. Inhaltlich käme es darauf an, neben den klassischen Untersuchungsthemen wie Arbeitszufriedenheit explizit auch nach Verbesserungspotenzialen etwa bei Führung, Kommunikation, Unternehmenskultur, Prozessen und Projekten zu fragen. „Aus Gründen der Glaubwürdigkeit sollte der Fragebogen zudem Themen ansprechen, die brisant sein können“, ergänzt Egon Stephan von der Universität zu Köln.
Häufig werde auch nicht bedacht, dass sich über die Fragen Botschaften kommunizieren lassen, die für das Unternehmen relevant sind. So können zum Beispiel laut Matthias Diete von der Konstanzer Cubia AG die Ergebnisse größerer Restrukturierungen erfragt werden. Oder es wird mithilfe entsprechender Fragen die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf wichtige Themen wie Innovation und Veränderungsbereitschaft gelenkt. Da die meisten Befragungen inzwischen online erfolgen, sollte nicht zuletzt auf die Benutzerfreundlichkeit (usability) geachtet werden.
Werden wie etwa bei der Gerresheimer AG oder der Knorr-Bremse AG Mitarbeiter in verschiedenen Ländern befragt, sollte der Fragebogen mit den Personalverantwortlichen in diesen Ländern abgestimmt, kulturübersetzt und erprobt werden. „So wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter die Fragen richtig verstehen und beantworten“, weiß Stefan Reichert aus Erfahrung. Nach der Auswertung sollten nach Ansicht des Heads of Corporate Personnel Development des Herstellers von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeugen den Worten unbedingt Taten folgen. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass Unternehmen dieses Instrument ‚verbrennen'“, so Kaschube, und es künftig extrem schwer hätten, die Mitarbeiter zu einem ehrlichen Feedback anzuregen.
Commitment der Chefetage unverzichtbar
Wirkung können Mitarbeiterbefragungen allerdings nur entfalten, wenn alle – vom Chef bis zur Basis – hinter der Erhebung und den damit verbundenen Folgeprozessen stehen. „Nur wenn im Interesse eines transparenten, fairen Prozesses gewährleistet ist, dass neben den Führungskräften auch die Mitarbeiter die wesentlichen Ergebnisse erfahren, spüren die Mitarbeiter: ihnen wird vertraut, und sie sollen an den Entwicklungs- und Verbesserungsprozessen mitwirken“, erläutert Cubia-Vorstand Matthias Diete.
Wer sich für eine Mitarbeiterbefragung entscheidet, sollte sich seines Erachtens bewusst sein, dass die Erhebung in regelmäßigen Abständen mit denselben Methoden wiederholt werden müssen. „Nur dann lassen sich die Daten mit früheren vergleichen und belegen, was die operativen Folgemaßnahmen tatsächlich bewirkt haben“, pflichtet Jürgen Kaschube bei. Der Aufwand dafür sei berechtigt und zahle sich mehrfach aus.
Das belegt etwa die Studie „Organization 2015: Designed to win“ der Boston Consulting Group. Demnach performen die Unternehmen am besten, die sich konsistent auf ihre weichen Kernkompetenzen konzentrieren: Führung, Motivation, interne Kommunikation und übergreifende Zusammenarbeit. Strategische Mitarbeiterbefragungen, so die Autoren der Studie, schaffen dafür die Voraussetzung und sind prädestiniert, um diese Kernkompetenzen systematisch zu fordern, zu evaluieren und zu fördern.
Trotzdem bevorzugen manche Unternehmen eine Zufriedenheitsbefragung light. „Diese dienen vorrangig dazu, um Auszeichnungen und Titel bei Arbeitgeberrankings zu ergattern“, weiß Egon Stephan. Firmen, denen es um eine nachhaltige Unternehmensführung und -entwicklung geht, rät der Psychologieprofessor die Befragung so zu gestalten, dass sich die Ergebnisse zur Organisationsentwicklung eignen. Dies würde auch den Bedürfnissen vieler Mitarbeiter entsprechen, die mit ihrem Feedback lieber einen kritischen Beitrag beisteuern, statt an einer am Arbeitsmarkt orientierten Zufriedenheitsbefragung für Werbezwecke teilzunehmen.